Translated ActsDie AusstellungDas Programmdumbtype


Yuyeon Kim
Yuyeon Kim, Kuratorin der Ausstellung "Translated Acts", stammt aus Korea und lebt in New York. In Antwort auf Fragen von Michael Thoss vom Haus der Kulturen der Welt umreißt sie die Genese der Ausstellung "Translated Acts", die aktuelle Rolle der Performance-Kunst in Ostasien sowie die kulturellen Unterschiede und Mißverständnisse zwischen Asien und Europa.

"Die Idee zu "Translated Acts" entstand mit der Ausstellung "Flesh and Ciphers", die ich 1994 als Kuratorin im "HERE"-Zentrum für Bildende und Darstellende Kunst in New York betreute. "Flesh and Ciphers" betrachtete das Spannungsverhältnis und den Ausdruck menschlichen Daseins im digitalen und physischen Raum. Gezeigt wurden dort zum Beispiel Ron Athey, dessen Performances extremes Bodypiercing, Tattoos und Blutspuren HIV-positiver Menschen beinhalteten, sowie ein digitales Video von Craig Kalpakjian, in dem ein zu vermutender, jedoch unsichtbarer Körper immer wieder einen virtuell abgesperrten Kanal durchquerte. Als New Yorker Premiere zeigte die Ausstellung XU Bings Video "A Study of Transference", die Dokumentation einer Installation in Peking - der Koitus zweier Schweine in einem großen Verschlag zwischen verstreut herumliegenden Büchern. Die Ausstellung präsentierte außerdem einen der frühen "United Nations"-Vorhänge aus Menschenhaar von Wenda GU.

Der Kontrast und das Verhältnis zu den physischen und digitalen Welten, die unseren Blick auf die Gesellschaft und auf uns selbst prägen, hat mich immer wieder fasziniert. Künstler setzen sich damit häufig durch das völlige Eindringen in eine der beiden Welten auseinander - die fleischliche Verkörperung und alle damit zusammenhängenden Prozesse oder die Projektion eines erfundenen Ich in die ätherische Distanz des vernetzten Raumes.

Dies steht auch in Zusammenhang mit anderen Widersprüchen, die ich wahrnehme und erlebe. Zum Beispiel das Gefühl der kulturellen Entfremdung und des Eindringens, das ich als im Ausland lebende Frau gleichzeitig empfinde. Ich lebe als Koreanerin in New York, reise als Kuratorin jedoch häufig nach Asien und Europa. New York selbst ist keine typisch amerikanische Stadt, denn sie besteht aus den vielen Diasporas der Welt. Hier leben Menschen aus Asien, Afrika, Europa, Südamerika. Man hat ständig das Gefühl, verschiedene Realitätsebenen zu durchqueren - selbst wenn man an Ort und Stelle bleibt. Ein Ort ist nicht der gleiche für alle. Als Kuratorin einer Ausstellung muß ich mich immer mit dem Raum als Kontaktzone dessen, was in ihn eingebracht wird, auseinandersetzen. Das Problem verschärft sich, wenn ich als asiatische Kuratorin internationale Künstler betreue. Ganz offensichtlich entwickelt sich eine Dynamik in den Beziehungen, die sowohl im Hinblick auf die Nähe als auch im Hinblick auf das jeweilige politische und kulturelle Erbe bewertet werden muß. Bei der Betrachtung der Beziehungen zwischen physischen und "virtuellen" Zuständen oder zwischen Ort und Ortlosigkeit überlegte ich mir, wie Performance- und Körperkünstler dem Dilemma von Kultur und Ort in ihren Arbeiten Ausdruck verleihen. Ostasien interessierte mich dabei besonders, weil es trotz der großen kulturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern grundlegende Verbindungen im Denken des Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus gibt. Der Westen tendiert traditionell dazu, Struktur im Sinne bürokratischer Hierarchien zu begreifen, seien sie gesellschaftlicher oder religiöser Art. Auch dem östlichen Geist ist der feudale Ordnungssinn vertraut, wie er sich im Konfuzianismus findet, doch betont er stärker den Widerspruch von sich gleichenden Beziehungen. So zum Beispiel im Taoismus und im Buddhismus, in dem das Gefühl herrscht, alle Dinge wirkten gleich und hätten die gleichen Folgen. Es ist der Schöpfungsmythos, der hier dem Rad des Lebens gegenüber gestellt wird. Das eine ist der endliche Aufstieg oder Abstieg, das andere ist das Kontinuum - ohne Anfang und Ende, Alpha und Omega. Ich möchte sogar behaupten, daß Konzepte wie die der nicht-linearen Dynamik und des Internets eher im Osten angenommen werden und eine bedeutende Verschiebung im westlichen Bewußtsein hin zu einem östlichen Existenzverständnis beweisen.

Interessant finde ich ebenfalls die Perspektiven, Beziehungen und Einflüsse zwischen Asien und dem Westen und in welchem Maß jede Seite die zeitgenössische Kultur prägte. Mir scheint, die westliche Kunstgeschichte ist in ihrem Verhältnis zu nicht-europäischen Kulturen nachhaltig gescheitert und neigt eindeutig zur Fehlübertragung, Fehlinterpretation und Verunglimpfung der Kunst aus Asien, Afrika, dem Nahen Osten und Südamerika. Bei der Bewertung der Kunst aus diesen "anderen" Kulturen müssen also bestimmte Blickwinkel überwunden und neue entwickelt werden, die das Vermächtnis von Kolonialismus und Imperialismus berücksichtigen.

Viele Beispiele zeitgenössischer Performance- und Körperkunst aus Ostasien entsprechen nicht den gängigen Erwartungen. Sie reichen vom dramatischen und nachdrücklich politischen Protest bis hin zu komplexen sozialen und emotionalen Entfremdungen. In Japan gibt es beispielsweise so viele Überschneidungen zwischen körperlichen und virtuellen Performances, daß eine Unterscheidung zwischen kommerzieller und Populärkultur kaum noch möglich ist. Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich die japanische Geschichte der Performance-Kunst radikal. Zeitgleich mit dem Wirtschaftsboom in den achtziger Jahren begannen sich japanische Künstler auf Hi-Tech zu konzentrieren. Sie nutzten die Technologie und elektronische Medien, um die Risse in einer Kultur aufzuzeigen, und zwar auf der Ebene der angepaßten und vorgestellten Realität, so wie es die Manga-, Anime- und Otaku-Subkulturen mit ihren ausdrucksstarken Ambiguitäten in Bezug auf Identität, Geschlecht und Sexualität deutlich machen.

Der Titel "Translated Acts" wurde gewählt, um zwei Themen zu kommunizieren: erstens die Artikulation von kultureller Identität, historischem Erbe und innerem Ausdruck durch den Akt der Performance; zweitens die Ausdehnung des körperlichen und performativen Akts in den Bereich anderer Medien hinein, wie Fotografie, Video, digitaler oder vernetzter Raum. Die Ausstellung wird sich auf eine fundamentale Veränderung in der Nutzung dieser Medien durch die jungen Künstler konzentrieren: Sie sind nicht länger Mittel zur Dokumentation der Performance, sondern werden selbst zu ihrem Gegenstand. In manchen Fällen ist dies eine durch die politischen Umstände erzwungene Entwicklung. So zum Beispiel in China, wo in den achtziger Jahren, unter anderem in den Bewegungen des Jahres 1985, und in den frühen neunziger Jahren viele Ausstellungen und Performances in provisorischen Räumen stattfanden, sporadisch in Kellern, leerstehenden Gebäuden und Künstlerwohnungen auftauchten und wieder verschwanden. Am 5. Februar 1989, vier Monate vor dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz, schoß die Künstlerin Xiao Lu auf ihre Arbeit, die im Rahmen der Ausstellung "China/Avantgarde" im Nationalen Palast der Schönen Künste in Peking gezeigt wurde. Darauf wurde die gesamte Ausstellung mit Werken von fast zweihundert Künstlern drei Stunden nach ihrer Eröffnung von der Regierung geschlossen. Für die Künstler ergab sich die Notwendigkeit, neue Wege und Möglichkeiten für Performance und Ausdruck zu finden. In dem vom Motto "Schnell zeigen und dann weg!" geprägten Klima in den chinesischen Ausstellungsräumen dieser Zeit wurde das Video zum populären Medium: Wenn entsprechende Geräte vor Ort waren, ließ sich eine Präsentation schnell auf- und abbauen.

In den frühen neunziger Jahren zeigte die East Village Group, zu der unter anderem MA Liuming und ZHANG Huan gehörten, Performances an verlassenen Stätten, in den Bergen oder für heimlich geladene Gäste im eigenen Heim. Ihre Projekte wurden immer radikaler und schockierender. Dies führte schließlich zur Verhaftung von MA Liuming, er war - in seiner eigenen Wohnung - unbekleidet aufgetreten.
Wie in China war auch in Taiwan die Performance häufig ein Mittel politischen Protests. So zeigte der Künstler Chieh-jen CHEN 1983, in der Zeit des Kriegsrechts, ein Projekt in Xi Mun Ting, bei dem fünf Menschen, deren Köpfe und Gesichter durch das schwarze Gewand eines Henkers verhüllt und die an Armen und Beinen mit Verbänden aneinander gefesselt waren, über den zentralen Platz der Stadt strauchelten und gröhlten, bis sie festgenommen wurden. Noch heute arbeitet Chieh-jen CHEN mit dieser Metapher für politische Folter und Repression in geklonten, digitalisierten Bildern amputierter und wieder zusammengesetzter Figuren inmitten dramatischer Stadtlandschaften, wie auch in seinem multiplen Selbstportrait "Revolt in Soul and Body".

In Korea hat die Performance viele öffentliche Orte: Parks, Ateliers oder die Berge. Häufig finden Performances auch nahe der militärischen Demarkationszone statt. Oft ist die Performance in Korea Protest, aber sie bezieht sich auf unterschiedliche Aspekte, nicht zuletzt auf die widersprüchlichen Ideologien und Glaubenssysteme, die sich in den Jahrzehnten nach der japanischen Besatzung und den folgenden Unruhen des Koreakrieges herausgebildet haben, der schließlich zur Teilung des Landes führte. Ständig wurde und wird westliche Kultur nach Korea importiert, insbesondere aus Amerika, und mehr als 40% der Koreaner gelten als eher christlich denn buddhistisch orientiert. Dennoch gibt es einen Kern koreanischer Mentalität, die sich entsprechend den Umständen neu definiert und eindeutig koreanisch bleibt. Vielleicht gilt das für alle Kulturen Asiens, und ein "westlicher" Import ist möglicherweise nur ein zurück geschicktes Produkt, das sich auf der Reise verändert hat. Ich meine hier das Entlehnen und Exportieren von Ideen aus Asien in den Westen, Prozesse, die Jahrhunderte lang stattfanden und insbesondere in der Anbindung der Moderne an Formen und Konzepte aus China, Korea und Japan deutlich werden.

Überall hat die zeitgenössische Performance-Kunst in Ostasien, sei es als Form politischen Protests oder als Ausdruck gesellschaftlicher oder geistiger Besorgnis, die Kulturpraxis aus den Museen und Galerien hinaus geführt. Das fordert uns auf, die Art, wie wir Kunst beurteilen, neu zu überdenken, insbesondere bei der Bewertung nicht-europäischer Kunst."

Yuyeon Kim kuratierte unter anderem für die 3. Kwangju-Biennale im letzten Jahr die Ausstellung "Exotica Incognita" mit lateinamerikanischen Künstlern, die asiatisch-pazifische Sektion in "Cinco Continentes y una Ciudad" (Mexico-City, 1998), "In the Eye of the Tiger", ein Panorama zeitgenössischer koreanischer Kunst (New York/ Seoul, 1998), und 1997 "Traversions" für die 2. Biennale nach Johannesburg. Sie ist Mitbegründerin von PLEXUS, einer Organisation für Internetkunst in New York.

Übersetzung: Lilian-Astrid Geese

 

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